21. Etappe:Furtwangen – Titisee

Checkliste

RegionSchwarzwald
Länge29,6 km
rauf & runter↑ 830 m, ↓ 830 m
GPX Track21.gpx
Datum30.10.2022

 

Wandernotizen

5 Minuten vor der Eröffnung des Frühstück-Buffets stehe ich bereit; Ich möchte so zeitig wie möglich starten, denn der heutige Tag dürfte zeitlich knapp werden: Zeitumstellung & vorletzter Oktobertag („wenig Tageslicht“), 30 Kilometer, viele Höhenmeter, viele Orte zum Verweilen, und anspruchsvolleres Gelände als die vergangenen Tage. Mein Plan: Sollte ich es schaffen bis 15:30 Uhr am Fuß des knapp 1.200 Meter hohem Hochfirsts zu stehen wage ich dessen Überschreitung. Und falls es die Zeit erlaubt: oben ein Apfelschorle trinken. Finde ich in Titisee zudem noch ein Zimmer, hänge ich eine Übernachtung an – und versuche endlich im Treschers ein Stück ihrer berühmten Schwarzwälder Kirschtorte zu genießen. Schaffe ich es aber nicht rechtzeitig zum Hochfirst, steige ich in Neustadt in den Zug, und fahre von dort aus heim. Da ich aber sehr gerne mit Seeblick und ohne lange Heimreise beenden würde, frühstücke ich so früh wie möglich. Wieder ist dieses „full-featured“, und wieder werden Aufbackbrötchen kredenzt, aber hey: Ein Top Darjeeling! Leider genieße ich das Frühstück viel zu wenig, packe alsbald meinen Rucksack und will mich verabschieden – bezahlt hatte ich ja gestern schon; Nur leider weiß die heutige Rezeptionistin hiervon nichts. Und überhaupt, ich sei gar kein Gast in diesem Hotel! Letztlich klärt sich auf: Da ich Tags zuvor schon bezahlte wurde ich als bereits ausgecheckt gelistet. Puh.

08:30 Uhr begebe ich mich flotten Schrittes auf meinen Trail. Bis auf den Gipfel des Hochfirsts kenne ich meine heutige Etappe bereits: Diese verläuft auf dem Mittelweg, den ich 2018 bereits in diesem Abschnitt gewandert bin. Der Weg präsentiert sich nahezu unverändert, doch eines sollte mir an diesem Tag auffallen: Der Schwarzwald ist weniger schwarz als noch vor vier Jahren, er ist lichter geworden – streckenweise sogar mit 200 Metern Kahlschlag! Was meine Erinnerung ebenfalls anders darstellte: Zwar wusste ich, dass es bergiger würde als am Vortag, aber derart anstrengend? Ich bin ein wenig überrascht, schlage mich aber wahrlich tapfer. Kurz vor der Kalten Herberge wandert mir ein Pärchen entgegen, und ihren Rucksäcken entnehme ich: Kein Tagesausflug. Ich frage: West- oder Mittelweg? Sie antworten „Westweg“, und schon sind wir aneinander vorbei. Sie dreht sich um und ruft schon beinahe: Und du? Wir plaudern ein wenig. Welche schöner, sonniger Tag, welch schöne Begegnungen, und welch schöner Weg heute noch vor mir liegt! Heute scheint dieser Tag einfach perfekt.

Die vielen Höhenmeter lassen mich zwar hin und wieder kurz anhalten und verschnaufen, aber unterm Strich merke ich: Zwischenzeitlich bin ich top fit, habe Kraft und Energie. Wow. Ich lege ohne Mühe ein Tempo hin, dass mich kaum an einem heutigen Aufstieg zweifeln lässt. Das sonnige Wetter kombiniert mit einem kühlen Lüftchen runden das Ganze ab. Dass ich am Russenkreuz bei Schwärzenbach abermals die Alpen nicht erblicken kann stört mich nicht wirklich – vielmehr sehe ich zu, dem dort üblichen Touristenauflauf zu entfliehen. Meine erste Pause gönne ich mir an der Max-Engelsmann-Hütte gegen 13 Uhr nach satten 20 Kilometern; Bis an den Fuß des Hochfirsts ist es von hier keine halbe Stunde – also zwei Stunden früher als erhofft! Vielleicht wäre ich an diesem schönen Flecken länger als zehn Minuten verweilt, wäre die erhoffte Bank dort oben nicht bereits besetzt gewesen…

Im Tal angekommen darf ich in Neustadt einen kleinen Umweg suchen, denn die Brücke über die Gutach wird derzeitig erneuert. Die dortige Gastronomie lockt mit Apfelschorle und Eis, doch zum Einen verfüge ich noch über ausreichend Wasserreserven, und zum Anderen habe ich noch immer mein Ziel anvisiert: den Titisee. Am Fuß des Hochfirst begegnen mir am Bahnübergang zwei Jakobspilger, doch diese scheinen weder gut gelaunt, noch überhaupt angesprochen werden zu wollen; Vielmehr vermitteln sie einen eher zwielichten Eindruck. Mir wird klar, was Michael Gallasch in seinem Wanderführer zur Erscheinung, die man als Wanderer auf solchen Touren bitte an den Tag legen sollte, meinte: So jemandem will niemand Unterkunft bieten; Und ich bin froh, nicht im Pulk mit diesen beiden den Aufstieg bewältigen zu müssen, denn: Abermals dürfen die Jakober im Tal zu Kreuze kriechen, statt erhaben Gottes Schöpfung zu preisen. Der Aufstieg selbst ist ohne Frage anstrengend, aber auch nichts, was mich schrecken würde – zwar liegt der Gipfel auf kaum weniger als 1.200 Metern, doch auch das Tal ist mit jenseits 800 Metern recht hoch gelegen. Ich überhole eine Familie, die am Ende ihrer Kräfte angelangt scheint; Ich ermuntere sie: Nur noch eine Biegung (die allerdings verschwiegene 500 Meter lang ist…), und sie haben es geschafft; Und oben hat hoffentlich das Berggasthaus für ein Apfelschorle geöffnet. Das Gasthaus hat geöffnet, und ich genieße dort sogar zwei große Gläser. Leider aber drinnen, denn an diesem Schönwettertag ist draußen kein Sitzplatz mehr zu bekommen. Und meine Überholfamilie erblicke ich bei meiner Verweildauer nicht mehr… ob sie es geschafft haben? Die obligatorischen Aufnahmen am übervölkerten Startplatz der Flieger sind schnell erledigt, und schon begebe ich mich wieder gen Tal.

Um 15:40 Uhr erreiche ich Titisee. Kulturschock. Übervölkert. Gänzlich eigene Welt. Erlebnis? Eher „Eindruck“. Was genau reizt Leute dorthin zu gehen wo Massen anderer auch hingehen? Der See selbst ist nun wahrlich kein Knaller. Und die Promenade ist verglichen z.B. mit jeder noch so unbedeutenden Ortschaft am Bodensee auch kein Hit. Die Gebäude? Null Flair. Die Touristen hier sind ein wilder Mix von „edelstes Abendkleid für Preisverleihungen“ bis hin zu „Captain Schlabberhose“ – und man vermag es auch nicht ihnen anzusehen, wer nun tatsächlich irgend etwas an Stil, Manieren oder Geld vorweisen könnte. Was ich aber sicher weiß: Ich befinde mich auf zig Urlaubsfotos, die sogleich in aller Welt verstreut sind. Und während die Polizei beschäftigt ist ermahnte Autofahrer aus der Fußgängerzone zu lotsen, sind meine allerersten Anliegen: Wo schlafe ich, wo esse ich? Also auf zum besten Haus am Ort, meinem Wunschziel: Doch im Treschers teilt man mir mit, dass leider kein Zimmer mehr frei ist. Ebenso in einigen nachfolgend angefragten Hotels – ja nichtmal ein Platz für das Abendessen wäre zu reservieren! Klar, morgen ist Brückentag, es sind Ferien, wir haben stabiles Urlaubswetter, doch die Personallage hier ist bereits die der Wintersaison… Das hier eine Übernachtung zu finden kein leichtes Unterfangen sein würde hätte mir klar sein sollen. Anyway, für jenseits 180 € komme ich noch im Maritim unter. Das Zimmer ist adäquat, doch unter der elektrisch gesteuerten Dusche stehend verbleibe ich trocken: Zwar vermag ich unter der Regendusche die Beleuchtungsfarben zu steuern, doch statt Wasser aus der Decke erscheint nach zig versuchen im Display der Fehlercode „E3“ gefolgt von einem trockenen „88“. Der Haustechniker kommt, drückt einmal auf selbigen Knopf, und das Wasser fließt. Hmpf.

Frisch geduscht gebe ich schon um 17 Uhr meinen Traum von Treschers Torte auf – keine Chance heute. Aber da es gefühlt bereits 18 Uhr schlägt suche ich mir mein Abendessen lieber früher. Doch ein ordentliches Restaurant scheint hier nirgends zu existieren, vielmehr erinnert alles hier an die Massenabfertigungen von Freizeitparks. Klar, was auch sonst habe ich erwartet, wie sonnst sollte diese Masse bedient werden? Das vermeintlich kleinste Übel herausgesucht warte ich – draußen sitzend – gefühlt eine Stunde auf mein Essen, das zu meiner Überraschung von erlesener Qualität ist! Derweil wird das Lokal verschlossen: 18 Uhr macht hier alles dicht, und das Äquivalent zu Disneylands „Mainstreet“ ist plötzlich wie leergefegt. Zum Glück habe ich nicht bis 18 Uhr gewartet um Essen zu gehen… Statt einen Nachtisch zu ordern gönne ich dem Personal nach dem heutigen Ansturm seinen Feierabend, und beschließe statt dessen mir beim Schlendern zum Hotel noch drei Kugeln Eis zu gönnen. Tatsächlich bekomme ich diese an einer Eisdiele auch noch: Zwar ist die Auswahl zu dieser Stunde recht dezimiert, doch das sollte mich nicht stören. Die letzten 100 Meter meines Weges sollten aber bitter kalt sein, und ich bin froh im Hotel angekommen in mein Bett kriechen zu können.

Das Frühstück am folgenden Tag lässt mit Errungenschaften wie z.B. einem Pancake-Automaten freilich keine Wünsche offen. Wobei… Etliche Schwarzteesorten standen zur Wahl, aber wo bitte war der Darjeeling? Die Wahl zwischen First und Second wäre hier angebracht gewesen. Und natürlich lässt auch das Publikum zu wünschen übrig: Wie in allen besseren Hotels beugen sich einige Mengen auf ihre Teller deren Verzehr jenseits meiner Vorstellung liegt; Als könnte der Anblick von Quadratmeter großen Bergen aus Lachs und Schwarzwälder Schinken den sofortigen Hungertod bedeuten. Meine Heimfahrt wird dann eine kleines Unterfangen: Die Bahnlinie am Titisee fährt wegen Sperrung gen Freiburg nicht im Regelbetrieb, und die Bahnlinie Singen – Stuttgart wird vom Schienenersatzverkehr versorgt. Die Busse bedienen unterschiedliche Entfernungen und Richtungen, doch leider hat man es auch nach Tagen dieses Betriebs versäumt an die Busse zu schreiben, welche Strecke sie denn fahren. Und so stürmen viele hinein, um sogleich wieder auszusteigen – während andere, die mitfahren sollten, mit Fragezeichen unbefördert zurückbleiben. Und ich darf weit über eine Stunden stehend auf der Autobahn unterwegs sein… Sorry Bahn, ich weiß durchaus wie komplex es ist ein Netz wie das eure am Laufen zu halten, aber hier habt ihr dieses mal wirklich vollständig versagt.

Bilder

Etappe 21: nahe der Kalten Herberge Etappe 21: Blick vom Hochfirst Etappe 21: Titisee


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